Christian Felber
Wie sieht die Zukunft der Mobilitätspolitik aus? Umwelt- und Verkehrs-NGOs könnten Kostenwahrheit im Verkehr als Voraussetzung für Freihandel und freien Warenverkehr einfordern. Regionen sollten der Nähe Vorrang einräumen.
Aufgrund der wachsenden Prominenz des Klimawandels in der politischen Diskussion könnten sich in den nächsten Jahren spannende Änderungen in der Mobilitätspolitik ergeben, die von Nichtregierungsorganisationen gleichermaßen angestoßen wie nicht verschlafen werden sollten.
Zum einen zeichnet sich in den globalen Handelsgesprächen eine Wende ab: Stellten Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz bisher tendenziell eine „Diskriminierung” und eine Verzerrung des freien Handels dar, so drehen immer mehr Ökonomen diesen Spieß um: Wer nicht beim Klimaschutz mitmacht, betreibt Ökodumping und verzerrt den Handel zu Lasten der Umwelt.
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz denkt beispielsweise über Sanktionen gegen die USA nach, solange sie das Kyotoprotokoll nicht ratifizieren. Felix Ekardt, Professor für Umweltrecht an der Uni Bremen, empfiehlt, dass die EU ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen umsetzen und diesen Schritt durch „Ökozölle” absichern sollte.
Diese neue Logik könnte dazu führen, dass ökologische Kostenwahrheit zur Voraussetzung für freien Handel wird. Sie würde eine Phase der Regionalisierung von Stoffkreisläufen einläuten und globale Wertschöpfungsketten verkürzen.
Kostenwahrheit ist gleichzeitig die Schnittstelle zur EU-Politik. Zahlreiche Umwelt- und die europäischen Attac-Organisationen fordern die Aufgabe des blinden Vorrangs der Wirtschaftsfreiheiten wie des freien Warenverkehrs, der ein Haupthindernis bei der Erreichung der Klimaschutzziele der EU darstellt.
Wenn die EU ihre 2006 verabschiedete „Erneuerte Strategie für nachhaltige Entwicklung” und das darin enthaltene Ziel eines „nachhaltigen Verkehrs- und Mobilitätssystems” ernst nimmt, dann müsste ökologische Kostenwahrheit die logische Voraussetzung für den freien Warenverkehr werden. Die EU-Wegekostenrichtlinie – sie legt die Kriterien für die Straßenbemautung fest – ist ohnehin in permanenter Reform.
In der Schweiz, wo ein 40-Tonnen-Lkw heute schon rund 70 Cent pro Kilometer bezahlen muss (in Österreich 26,9 Cent) errechneten Experten im Auftrag des Bundesamtes für Verkehrsfragen, dass die Straßenbenützungsgebühr bei vollständiger Kostenwahrheit auf zwei bis drei Euro ansteigen würde: Diese Verzehnfachung der aktuellen Transportpreise in der EU würde eine mächtige Lenkungswirkung entfalten!
Eine dritte Ebene, wo sich spannende Entwicklungen abzeichnen, sind die Regionen. Der ländliche Raum leidet unter wachsendem Transit- und Langstreckenverkehr und würde von Vorrangregeln für lokales Wirtschaften und Nähe profitieren.
Wie am Beginn eines jeden Paradigmenwechsels werden derzeit noch einander widersprechende Strategien gleichzeitig umgesetzt: Die Bundesländer bauen eifrig neue Autobahnen und Schnellstraßen, so als ob den Klimawandel und die drohende Ölpreisexeplosion nicht gäbe; gleichzeitig erstellen dieselben Länder Nachhaltigkeitsstrategien und fördern Nahversorgungsprogramme, die der Logik kurzer Wege und regionaler Wirtschaftskreisläufe folgen. Das Bundesland Steiermark plant beispielsweise eine neue Autobahn durch das Ennstal, während es gleichzeitig das Projekt „Vulkanland” fördert, das auf „Regionalität” und „die seelische Verbindung zur Landschaft” setzt.
Eine Möglichkeit, nachhaltige Mobilität messbar zu machen, wäre die Erstellung eines alternativen Mobilitätsindikators: Dasjenige Bundesland, in dem die täglichen Ziele am unaufwändigsten erreicht werden, wo der geringste Verbrauch an Transportenergie und –infrastruktur pro zurückgelegtem Weg nötig ist, ist das nachhaltig mobilste. Dieser Indikator könnte vom Umweltbundesamt in Zusammenarbeit mit Universitäten und NGOs erstellt und jährlich in einem Ranking publiziert werden.
Der in den nächsten Jahren voraussichtlich markant ausfallende Anstieg des Ölpreises wird die Vorreiter dieses Politikwandels belohnen.
Christian Felber ist freier Publizist, Buchautor und Mitbegründer der globalisierungskritischen Organisation Attac Österreich.