Hermann Scheer
Ende 2007 gab es die 15. Weltklimakonferenz in Bali: Ein neuer Anlauf für ein Kyoto II-Abkommen wurde versprochen. Nunmehr sollten alle Länder in den Verpflichtungsrahmen zur Minderung der Treibhausgase einbezogen werden. Die Abgesandte von US-Präsident Bush musste ein Scherbengericht über sich ergehen lassen. Das Leitwort von der „carbon free”-economy machte die Runde. Das Präludium für alles war zuvor, im Frühsommer 2007 auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm, die Vereinbarung der führenden Industrieländer, den Anstieg des CO2 in der Erdatmosphäre auf zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Die Signale wurden gestellt für die nächste Konferenz im Dezember 2008 in Poznan.
Doch so hoffnungsvoll wie es klang war das alles nicht. Die Erwärmungsobergrenze von 2 Grad Celsius ist alles andere als beruhigend, wenn man bedenkt, dass die jetzt bestehende globale Erwärmung von 0,7 Grad bereits schwerwiegende Klimaschäden zur Folge hat. Und das Stichwort der „carbon free-economy” ist auch höchst ambivalent, wenn man das Kleingedruckte der Bali-Konferenz liest: Auch Atomkraft oder die höchst problematischen „Clean Coal”-Kraftwerke fallen unter diese Kategorie. Und hochtönende Absichtserklärungen wie die von Bali sind noch kein neuer Vertrag, wie sich bisher stets zeigte.
In Poznan wurde das unter Beweis gestellt. Es ging hier vielen Regierungen um Ausnahmeregelungen für sich, die sie aufgrund ihrer jeweils gesonderten wirtschaftlichen Lage, unterschiedlicher Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern oder mangelnder technologisch-industrieller Kapazitäten für Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien reklamierten. Die EU-Länder, die sich als Zugpferd für globalen Klimaschutz etikettiert haben, gingen hierbei mit schlechtem Beispiel mit.
Das alles ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Ende 2009 in Kopenhagen droht – also bei der nächsten Weltklimakonferenz, auf der man sich ein Kyoto II-Abkommen vorgenommen hat. Ausnahmeforderungen werden höchstwahrscheinlich inflationäre Züge annehmen. Was den reichen Industrieländern recht werden soll, wird anderen billig sein. Um den für einen völkerrechtlich wirksamen Vertrag notwendigen breiten Konsens zu erzielen, wird es zahlreiche Entgegenkommen auf dem Verhandlungsbasar geben. Am Ende steht dann voraussichtlich ein verwässertes und komplexes Produkt, das zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten enthält. Damit diesem Grenzen gesetzt werden, werden kontrollierende Mechanismen und Verrechnungsregeln eingebaut, die den aktiven Klimaschutz nolens volens bürokratisieren. Deshalb ist die Voraussage nicht schwer, dass ein Kyoto II-Abkommen – sollte es zustande kommen – weit unter den gehegten Erwartungen und weit hinter den tatsächlichen Erfordernissen bleibt.
Das alles ist konzeptbedingt und deshalb nicht heilbar. Es ist ein Trugschluss, für Maßnahmen zum Klimaschutz der gesamten Staatenwelt ein Instrumentarium installieren zu wollen: das der „flexiblen Instrumente”, bestehend aus grenzüberschreitenden, handelbaren Emissionsrechten und internationalen Verrechnungsmöglichkeiten – ob für Staaten oder Unternehmen. Ein solches System funktioniert nur in der Theorie, tatsächlich ist es wirklichkeitsfremd.
Die Theorie baut auf der Annahme auf, dass dadurch Investitionen zum Klimaschutz von den jeweils dazu Verpflichteten dahin gelenkt werden könnten, wo sie für diese am kostengünstigsten wären. Sie unterstellt eine Rationalität, die es auch in der Wirtschaft nicht gibt. Sie übersieht, dass Preisbildungen von vielen anderen Faktoren mit abhängen, u. a. von der Frage, wie sehr Energieangebote monopolisiert sind. Sie ignoriert damit Strukturen, gegenläufige Interessen und vor allem das Anrecht betroffener Menschen, dass Investitionen zum Klimaschutz nicht zuletzt dort stattfinden, wo die Menschen auch leben und die unmittelbaren Vor-Ort-Belastungen nicht hinnehmen wollen. Hinzu kommt, dass es für Ausnahmen oftmals nachvollziehbare volkswirtschaftliche Gründe gibt, etwa die Erhaltung eines Industriestandorts.
Eine Lösung dieses Dilemmas ist nur möglich, wenn endlich die Lehren aus den bisherigen Erfahrungen gezogen werden, indem auf ein einheitlich geregeltes globales Instrumentarium – also die sogenannten „flexiblen Instrumente” – verzichtet wird. Das heißt: Ein unbedingtes Ja zu konkreten nationalen und vertraglich fixierten Verpflichtungen, die Emissionen zu reduzieren. Aber die Frage, wie das geschehen soll, muss den einzelnen Staaten selbst überlassen bleiben, ohne grenzüberschreitende Ausflüchte. Dann können sie flexibel handeln. Dann gibt es einen „Wettbewerb” um intelligente Ansätze. Dann werden globale Minimalverpflichtungen nicht zur Obergrenze für alle. Der schlagende Beleg dafür ist das deutsche Erneuerbare Energie-Gesetz: Es hat in Deutschland viel mehr bewirkt als der ganze Emissionshandel, und das zu niedrigen Kosten.
Quelle: Solarzeitalter 4/2008
Web-Tipp: Eurosolar www.eurosolar.de