Zukunft Ennstal – ARGE Intermodale Verkehrsplanung

Verein NETT • Nein Ennstal Transit Trasse
Anerkannte Umweltorganisation gem. § 19 Abs. 7 UVP-G 2000

Wir planen ganzheitlich

Besuche uns auf Facebook

Besuchen Sie uns auf Facebook:

Falls Sie diesen Button anklicken, werden aber auch persönliche Daten an Facebook übertragen. Sind Sie damit einverstanden?

Zur Navigation springen.

Christian Felber

Die Ver(w)irrungen der
EU-Verkehrspolitik

Die EU will um 600 Milliarden Euro neue Verkehrsprojekte verwirklichen. Die Transeuropäischen Netze (TEN) sind aber weniger dazu angetan, den „sozialen und territorialen Zusammenhalt“ der EU zu festigen als vielmehr den ideologischen Zusammenhalt von Verkehrspolitik und Großindustrie.

In der EU ist einiges verdreht. Zum Beispiel Ziele und Instrumente. Derzeit beruht die EU auf ökonomischen Grundfreiheiten – freier Kapital-, Waren- und Dienstleistungsverkehr. Diese Instrumente der Wirtschaftspolitik sollten eigentlich den Zielen – Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit, Geschlechtergerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, regionale Vielfalt – dienen; doch in der verdrehten EU-Welt haben die Instrumente Vorrang und gefährden sogar die Ziele. Beispielsweise kann der freie Warenverkehr die ökologische Nachhaltigkeit oder die regionale Vielfalt gefährden.

Eine weitere Verdrehung besteht in der Gleichsetzung von Verkehr mit Wohlstand. Zwar will die EU neuerdings das Verkehrs- vom Wirtschafswachstum entkoppeln. Doch mit ihrer Realpolitik entkoppelt sie umgekehrt das Wirtschafts- vom Verkehrswachstum. 1997 – 2002 wuchs der Verkehr um 3,3% pro Jahr, die Wirtschaft hingegen nur um 2,4%. Wie ist das zu interpretieren? Muss der Verkehr noch schneller wachsen, damit das BIP wieder auf die Beine kommt? Oder ist der Verkehr vielleicht gar ein Hindernis für echte Wohlstandsteigerung?

Verfassungsziel Straßenbau

Anstatt diese Frage gründlich zu klären, baut die EU hochrangige Verkehrsinfrastruktur. Nach dem Willen von Rat und Parlament sollen bis 2020 stolze 600 Milliarden Euro in den Ausbau von Straße, Schiene, Flug- und Seehäfen – die transeuropäischen Netzte TEN – investiert werden (siehe unten). Die TEN sind so wichtig, dass sie es sogar in den Verfassungsentwurf geschafft haben. Obwohl in einer Verfassung Instrumente (z. B. Straßenbau) nichts zu suchen haben, sondern höchstens die Ziele (Mobilität, Wohlstand). Kurioserweise sollen die TEN den „sozialen und territorialen Zusammenhalt“ der EU stärken. Ob aber zum Beispiel die geplante Autobahnachse Danzig – Brünn – Wien die „Regionen“ Polen, Österreich und Tschechien „zusammenhalten“ oder doch eher auseinander reißen und die meisten am Weg liegenden Orte durchbrausen wird (z. B. im Weinviertel), kann sich jede/r selbst ausmalen.

Nachhaltige Autobahnen?

Besonders schmerzhaft an der Zerreißpolitik der EU ist ihr Zustandekommen. Die TEN sind nicht auf Wunsch von BürgerInneninitiativen, MobilitätsforscherInnen oder Kleinunternehmen entstanden, sondern nach Vorarbeit des ERT. Der „European Round Table of Industrialists“ ERT ist ein Zusammenschluss von 45 europäischen Großkonzernen, darunter nicht wenige aus der Automobil-, Erdöl und Reifenbranche. Sie entwarfen 1984 das Strategiepapier „missing links“ und 1991 die „missing networks“. 1992 wurden die TEN in den Vertrag von Maastricht aufgenommen – eine SchelmIn, wer hier eine politische „Kohäsion“ erkennt. Die EU-Kommission versteht es prächtig, mächtige Interessen und hehre Ziele zu kohäsionieren: Die TEN stünden im Dienst der „nachhaltigen Entwicklung“, behauptet sie. Dazu eine Zahl: Pro Mensch kann die Biosphäre 1,7 Tonnen Kohlendioxyd aufnehmen. Die durchschnittliche EU-15-BürgerIn emittiert heute 9 Tonnen, das Fünffache. Der größte Wachstumstreiber der EU-Treibhausgasemissionen war 1990 – 2003 laut Europäischer Umweltagentur der Straßenverkehr. Was ist die logische nachhaltige Antwort auf diesen Trend? TEN!

Die Transeuropäischen Netze TEN

75.000 Kilometer Straße und 78.000 Kilometer Schiene, 330 Flughäfen und 270 internationale Seehäfen – so dicht sollen nach dem Willen von Parlament und Rat die Europäischen Netze (TEN) im Jahr 2020 sein. Die TEN sind ein Wachstumsprojekt in jeder Hinsicht. Umfasste die erste Prioritätenliste von 1994 erst 14 Projekte, so scheinen in der jüngsten Liste von 2004 bereits 30 Projekte auf, darunter:

  • eine Nord-Süd-Eisenbahn-Achse von Berlin über den Brenner bis Palermo;
  • Autobahnanbindungen von Spanien, Irland, Großbritannien und Griechenland an das Festland; aber auch die Autobahn Danzig – Wien durch das Weinviertel;
  • Tieferlegung der Donau auf zahlreichen Streckenabschnitten zwischen Bayern und dem Schwarzen Meer;
  • das Satellitennavigationssystem Galileo.

Bis 2020 soll die astronomische Summe von 600 Milliarden Euro in den Ausbau der TEN investiert werden. Der Großteil der Gelder soll aus den Mitgliedsstaaten kommen, die EU will in der Budgetphase 2007 – 2013 jährlich 20 Milliarden Euro aus drei Töpfen locker machen: Strukturfonds, Kohäsionsfonds und EU-Haushaltslinie TEN. Obwohl die TEN auf den ersten Blick als „bahnlastig“ erscheinen, flossen 2004 immer noch 62% der EU-Finanzmittel für Verkehr in die Straße und nur 27% in die Schiene. 1970 – 2000 verdreifachte sich das das hochrangige Straßennetz in der EU, während das Bahnnetz um 10% schrumpfte.

Zuerst erschienen im „VCÖ-Magazin“

Christian Felber, geboren 1972 in Salzburg, studierte Romanische Philologie und Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie in Wien und Madrid, seit 1996 freier Publizist und Autor, seit 2000 engagiert bei Attac Österreich, das er mitbegründet und aufgebaut hat. Christian Felber ist ein gefragter Referent zu Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen und zählt zu den herausragenden europäischen Vordenkern einer ökologisch verträglichen und sozial gerechten Wirtschaft. Veröffentlichungen u. a.: „Schwarzbuch Privatisierung“ (gem. mit Michel Reimon, Ueberreuter, 2003); „Das kritische EU-Buch“ (hrsg. von Attac, Deuticke, 2006); „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt – Gegen Konzernmacht und Kapitalismus“ (Deuticke, 2006). www.christian-felber.at