Martin Stricker
Bei allem Respekt vor den Ritualen der Politik und der Suche nach Kompromissen: Die Sache hat einen Haken. Die Gesetze der Physik kümmern sich nicht um das, was in den Hauptstädten der Welt gerade angesagt ist oder nicht.
Sollten die Berechnungen und Prognosen von Hunderten Wissenschaftern aus Dutzenden Nationen auch nur annähernd eintreffen, ist der Slogan „Lieber Arbeitsplätze als Umwelt” von krimineller Einfalt. Abgesehen davon, dass er noch dazu falsch ist.
Wenn die Menschheit nicht rasch zu handeln beginnt, wird es in weiten Regionen dieses Planeten um Naturkatastrophen gehen und um das nackte Überleben, in der Folge um Flucht und Hunger – und nicht um den Luxus von geregelten Arbeitsplätzen.
Die Hoffnung, dass die Modelle der Wissenschaft zum Klimawechsel falsch sind, in Ehren – es ist höchste Zeit zum Handeln und dafür, sich von den üblichen Ausreden und Lügereien zu verabschieden.
„Es sind immer die Anderen”, so lautet der erste Satz: Die in Wien, die in Brüssel, die in Peking, die bei der UNO. Die Aussage ist ganz besonders praktisch, weil sie 100 von 100 Politikern aus der Verantwortung hebt. Aus europäischer Sicht trifft sie erfreulicherweise den besonders renitenten Klimasünder USA samt seinem ungeliebten Präsidenten. Da darf sogar ein Josef Pröll in Bali Kritik üben und sein Mütchen kühlen, seines Zeichens Umweltminister eines Landes, das die eigenen Klimaziele soeben um mehr als 30 Prozent verfehlt. Es sind eben nicht immer die Anderen.
Ausrede Nummer zwei: „Nur keine Vorschriften!” Sie stammt noch aus Zeiten, als kollektiv dem hl. Neoliberalus gehuldigt wurde und Politiker davon überzeugt waren, dass der Markt schon alles richten wird. Außer Profiten für Aktionäre und märchenhaften Vermögenszuwächsen für jeden noch so verblödeten Manager richtet der Markt aber gar nichts. Legendäres Beispiel ist die „freiwillige Selbstverpflichtung” der europäischen Autoindustrie zur Reduktion des CO2-Ausstoßes ihrer Fahrzeuge, die einen munteren Anstieg der Emissionen zur Folge hatte.
Der Klimaschutz braucht Regeln. Das weiß mittlerweile auch der Kalifornier Arnold Schwarzenegger, Gouverneur der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt im Paradies des freien Marktes. Er schrieb der Autobranche soeben per Gesetz vor, die Emissionen bis 2015 um rund 30 Prozent zu senken.
Schmäh Nummer drei: „ Wer soll das bezahlen?” Unerschöpfliche Geldquellen stehen rätselhafterweise immer bereit, wenn es um politisch erwünschte und eingefahrene Maßnahmen geht – von Aufrüstung bis Kriegführen, von Tunnelbau bis Flugbenzinsubvention. Laut Schätzungen des erzkonservativen britischen Ökonomen Nicholas Stern und seines Teams würden die nötigen Klimaschutzpakete jährlich rund ein Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes kosten. Zu teuer? Gefordert ist eine andere, neue Form des Wirtschaftens. Mit der Verteidigung von politischen Besitzständen und gut besetzten Machtpositionen wird der Kurswechsel nicht gelingen. Mit „business as usual” trägt es die Menschheit aller Voraussicht nach aus der Kurve. Gefragt sind weder Partei noch Funktionär, weder Gremium noch Sitzung, Sprachregelung und Aussendung. Gefragt sind Kreativität, politischer Mut und Bewegung.
Nicht die Investitionen in den Klimaschutz und die gesetzlichen Regeln dafür bedrohen die Weltwirtschaft, es ist der Verzicht darauf.
Arbeitsplätze werden geschaffen, wenn die Forschung nach Ökotechnologien boomt, wenn ausgetauscht, verändert, neu errichtet werden muss. Wenn dies nicht geschieht, gehen sie verloren.
Politische Taschenspielertricks sind out, Ratschläge zur individuellen Selbstgeißelung ein Ablenkungsmanöver. Nicht schlechtes Gewissen rettet die Zivilisation, sondern gute Politik. Also los!
Quelle: Salzburger Nachrichten, 15. Dezember 2007