Kolumne von Gerfried Sperl, Der Standard
Wer mittut bei der Etablierung eines Überwachungsstaates, hat Václav Havel nicht verstanden.
Mit Václav Havel ist [am 18. Dezember 2011] ein Mensch von uns gegangen, dessen politisches Wirken den Menschenrechten und den Bürgerrechten gewidmet war. Dass dies unter oftmaligem Einsatz seines Lebens unter einer Gewaltherrschaft namens Kommunismus geschah, verstellt den Blick auf heutige Gefährdungen der Grundfreiheiten.
Einer der letzten, der Vaclav Havel besuchen durfte, war der Dalai Lama. Am 10. Dezember 2011, acht Tage vor Havels Tod, trafen die beiden aufeinander.
Wenigstens in Österreich und anderen westlichen Ländern wird man (noch) nicht mit Haft bedroht, wenn man als Anwalt oder Journalist Verletzungen der Grundrechte einklagt. Aber auch Havel und seine Mitstreiter konnten nicht verhindern, dass sich nach einer Phase der politischen Aufklärung in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts die Aussichten verdüstert haben.
In ihrem „Wahrnehmungsbericht 2010/11” haben die österreichischen Rechtsanwälte erneut die Versuche von Regierung und Parlamentsmehrheit kritisiert, die Freiheitsrechte einzuschränken. Im Konkreten geht es um die „Vorratsdatenspeicherung”.
Antiterrorgesetze und Datenspeicherung sind auch in Österreich immer dann propagiert worden, wenn es einen Anlassfall gab. Der Fall des Massenmörders Anders Breivik in Oslo passte schon nicht mehr ganz in die These von der hohen Wirksamkeit einer flächendeckenden Überwachung. Norwegen braucht zwar die EU-Richtlinien nicht zu befolgen, ist aber trotzdem gut vernetzt. Der Attentäter fiel erst auf, als alles geschehen war.
Vollends in der Krise sind die Verfechter des Überwachungsstaates nach dem Auffliegen der rechtsextremen Gruppe von Polizistenmördern in Deutschland. Wenn nämlich im Überwachungsapparat selbst die Helfer der rechtsrechten Gewalt sitzen, wird der polizeiliche Mechanismus außer Kraft gesetzt.
Die Staatsgewalt macht zur Hauptsache, was sie zur Verhinderung von Terror und Demokratiebekämpfung in Kauf nimmt:die Bespitzelung aller.
Im Bericht der Rechtsanwaltskammer heißt es sogar, „eine verdachtsunabhängige, flächendeckende Speicherung von Kommunikationsdaten aller Bürger” sei ein „Bruch mit der Tradition des Rechtsstaates” . Entscheidende Institutionen der Republik rütteln an ihren Grundfesten.
Verfassungsdienste können sogar in die Verschwiegenheitsrechte von Berufsgruppen eingreifen, deren Aufgabe es ist, Klienten oder Informanten im Zuge rechtlicher Auseinandersetzungen zu schützen.
Hier droht eindeutig ein behördlicher Totalitarismus.
In Erinnerung an den toten Václav Havel wird seit Sonntag in der offiziellen Politik auf die Gedenkdrüsen gedrückt. Und die Zitierung der Bürgerrechte fehlt in fast keiner Aussendung.
So mancher und so manche eine drehen sich auf den Fersen und Stöckeln um und gehen in eine Sitzung, wo sie mit Hilfe des „sicherheitspolitischen” Quacksprech weitere Einschränkungen eben dieser Bürgerrechte befürworten.
Wer mittut bei der Etablierung eines Überwachungsstaates, hat Václav Havel nicht verstanden. Für den Kampf gegen den Terror (auch den von innen wie im Kommunismus) dürfen die Menschenrechte nicht auf der Strecke bleiben.
Quelle: Gerfried Sperl, Der Standard, 19. Dezember 2011
FILM zum Thema Bürgerrechte in Österreich:
Der Prozess
Ein Film zur §278A-Thematik
www.derprozess.com
BUCHTIPP: Ilja Trojanow, Juli Zeh
Angriff auf die Freiheit
Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte
http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-23418-5